… ein Hauch von Wort und Bild

Streit ist Funke unserer Menschlichkeit und der Beginn der Versöhnung

„In einem Streit laufen wir mit stolz erhobener Brust voran – dafür braucht man nicht viel Verstand. Bei der Versöhnung stolpern wir jedoch über unseren Stolz – dafür fehlt der Verstand, den wir im Streit schon nicht hatten.“


Konflikte zeigen innere Schwächen (traumbrise.de) Es geht um Streit. Es geht um Versöhnung. Und vor allem geht es um diesen seltsamen blinden Fleck in uns, der uns das eine so leicht und das andere so unendlich schwer macht.
Jeder, der dieses Zitat liest, erkennt darin etwas Vertrautes wieder. Streit beginnt oft schneller, als jemand bewusst wahrnimmt. Eine Bemerkung, eine Verletzung, ein Missverständnis, und schon ist dieser innere Funke da, der alles anheizt.

Nach vorne treibender Stolz

Da ist zuerst dieses Bild: „mit stolz erhobener Brust“. Das kennt doch jeder. Es ist dieses Gefühl, wenn man sich absolut im Recht fühlt. Die Empörung pustet einen auf wie einen Vogel, die Schultern gehen zurück, der Kopf hebt sich. In diesem Moment fühlt es sich nicht wie Arroganz an, sondern wie Stärke. Wie Gerechtigkeit. Man marschiert in den Konflikt hinein, angetrieben von der puren Energie des „Ich werde mir das nicht gefallen lassen!“. Der Satz sagt, dafür brauche man nicht viel Verstand. Und das stimmt. Es ist ein Trieb, ein Reflex. Das Denken ist in diesem Moment ausgeschaltet, übertönt vom lauten Dröhnen des eigenen Gefühls. Der Verstand ist nur noch ein kleines, leises Stimmchen irgendwo ganz hinten im Kopf, das niemand hört.
Was in diesen Momenten interessant ist: Je lauter und entschlossener jemand argumentiert, desto mehr glaubt er, Recht zu haben — selbst dann, wenn das Fundament seiner Überzeugung bröckelt. Streit verwandelt Menschen oft in Kämpfer, die nicht verlieren wollen. Das Rennen mit erhobener Brust ist ein schönes Bild dafür: Es sieht beeindruckend aus, ist aber selten gut überlegt.

Die Mauer, die wir selbst bauen

Im Gegensatz dazu steht die Versöhnung, und hier wird es richtig bitter. „Bei der Versöhnung stolpern wir jedoch über unseren Stolz.“ Menschen, die darüber sprechen, merken schnell, wie schwer der zweite Schritt im Vergleich zum ersten ist. Während der Streit impulsiv und voller Energie ist, verlangt Versöhnung etwas, das viel mehr Kraft kostet: innere Ruhe, Mut zur Verletzlichkeit und die Bereitschaft, den eigenen Stolz zu hinterfragen.
Man läuft nicht mehr. Der sichere, wutgetragene Schritt ist vorbei. Jetzt ist es ein unsicherer Tritt, und genau das, was einen vorher so groß gemacht hat, dieser selbe Stolz, wird jetzt zum Hindernis, über das man fällt. Es ist, als ob man eine Mauer aus eigener Hand gebaut hat und nun nicht mehr darüber klettern kann, weil man sich zu schade ist, die Hände schmutzig zu machen. Dieser Stolz ist jetzt nicht mehr stark, er ist spröde und verletzlich. Er flüstert einem zu: „Wenn du jetzt nachgibst, hast du verloren. Dann war alles umsonst. Dann gibst du zu, dass du Unrecht hattest.“ Dabei geht es in der Versöhnung oft gar nicht um Recht oder Unrecht. Es geht darum, die Verbindung wiederherzustellen, die man selbst zerschnitten hat.
Bei der Versöhnung weichen die erhobene Brust und die strengen Blicke dem Gegenteil: einem vorsichtigen Abtasten, einer inneren Suche nach dem richtigen Wort, dem Versuch, ein verletztes Gesicht zu lesen oder die eigene Übertreibung zu erkennen. Da zeigt sich dann, dass der Verstand, der im Streit kaum genutzt wurde, jetzt dringend gebraucht wird — und genau das macht die Sache kompliziert.
Versöhnung ist keine Bühne, sondern ein stilles Zimmer. Sie verlangt keine großen Gesten, sondern Aufrichtigkeit. Und genau hier stolpern viele. Nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil Stolz und Unsicherheit Hand in Hand gehen.

Der Kreislauf der eigenen Dummheit

Und dann der finale, fast schon verzweifelte Satz: „…dafür fehlt der Verstand, den wir im Streit schon nicht hatten.“ Das ist die grausame Pointe. Es ist ein doppelter Mangel. Wir haben unser Denkvermögen bereits im Eifer des Gefechts verschleudert. Wir sind mit leeren Händen in die Schlacht gezogen und wundern uns nun, dass wir nichts zu verschenken haben, wenn der Frieden kommen soll. Unsere geistige Munition ist bereits verschossen – alle Vorwürfe, alle Rechtfertigungen – und für die viel schwierigere Aufgabe, eine Brücke zu bauen, ist nichts mehr da. Es ist eine Art Bankrott der Vernunft. Man hat sich selbst in eine Sackgasse manövriert und bemerkt erst dort, dass man den Rückweg vermauert.
Es ist, als hätte man im Zorn alle Möbel zerschlagen, um das Feuer im Kamin anzufachen. Jetzt, da die Glut verglüht ist und die Kälte hereinbricht, fehlt das Holz, um beständig Wärme zu erzeugen. Das Tragischste ist: Der Stolz, der uns jetzt im Weg steht, ist derselbe, der uns überhaupt erst hierhergeführt hat. Er ist ein untreuer Führer, der uns voller Überzeugung in die Falle laufen lässt und sich dann weigert, den Weg zurück zu zeigen. Im Streit haben wir auf den falschen Verbündeten gesetzt. Wir dachten, der Stolz würde uns schützen, doch in Wahrheit hat er uns unserer einzigen wahren Verteidigung beraubt: der Fähigkeit, klar zu denken und zu fühlen, was wirklich wichtig ist. Gerade jetzt, wo wir unseren Verstand am dringendsten bräuchten, um uns aus dieser selbst gewählten Falle zu befreien, müssen wir feststellen, dass wir ihn bereits am Eingang verspielt haben.

Verschiedene Blickwinkel

Die Verbindung all dieser Blickwinkel macht deutlich, dass es weit über eine einfache Beobachtung hinausgeht. Sie zeichnet eine menschliche Schwäche nach, die niemandem fremd ist.
- Aus Sicht der Gefühle:
Gefühle schieben im Streit nach vorne. Zorn, Verletzung, Enttäuschung — all diese Regungen sind schnell, heiß und verlangen sofortiges Handeln. Bei der Versöhnung ist das Gegenteil der Fall: Gefühle wollen geschützt werden. Und genau deshalb blockieren sie manchmal die Bewegung aufeinander zu.
- Aus Sicht des Denkens:
Klarheit entsteht selten im Moment des Streits. Wer emotional aufgeheizt ist, denkt in Mustern, nicht in Lösungen. Erst in der Ruhe nach dem Konflikt beginnt das echte Nachdenken. Aber diese Ruhe ist fragil, und Verstand braucht Mut, um sich gegen den Stolz durchzusetzen.
- Aus Sicht der Beziehung:
Jede Verbindung zwischen Menschen besteht nicht nur aus Nähe, sondern auch aus Reibung. Streit zeigt, wo Grenzen sind. Versöhnung zeigt, ob jemand bereit ist, sich wieder zu nähern. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass gerade dieser Schritt schwerfällt: Nähe erfordert Mut, und Mut fehlt oft genau dann, wenn man sich zuvor stark fühlte.
- Aus Sicht des Alltags:
Die Umgebung verlangt Schnelligkeit, Antworten in Sekunden, Reaktionen ohne viel Überlegung. Doch Versöhnung passt nicht in dieses Tempo. Sie ist langsam. Vielleicht entsteht genau deshalb dieses Stolpern: Menschen sind es nicht gewohnt, in solchen Momenten zu entschleunigen und sich selbst ehrlich anzusehen.

Wege aus der Situation

Irgendwann stellt sich jeder die Frage, wie man aus einer Auseinandersetzung herauskommt. Denn viele Streitigkeiten dauern zu lange, hinterlassen unnötige Wunden oder belasten Beziehungen, die eigentlich wertvoll sind.
Ein möglicher Weg beginnt damit, schon im Streit das Tempo zu drosseln. Menschen neigen im hitzigen Moment dazu, alles sofort sagen zu wollen. Doch gerade das spätere Stolpern entsteht oft aus Worten, die im Affekt gesprochen wurden. Manche Konflikte lassen sich besser lösen, wenn man rechtzeitig innehält — sei es durch einen kurzen Moment der Stille oder durch die Entscheidung, erst später weiterzusprechen.
Ein weiterer Gedanke in solchen Gesprächen ist die Übung im Umgang mit Fehlern. Wenn Menschen lernen, das Eingestehen eines Fehlers nicht als Schwäche, sondern als Reife zu sehen, gewinnt die Versöhnung an Würde. Der Stolz verliert seine Macht. Kleine Schritte helfen: sich entschuldigen für Kleinigkeiten, Missverständnisse sofort klären, eigene Übertreibungen früh bemerken.
Auch das Bild der Beziehung verändert sich, wenn der Fokus nicht auf dem Sieg im Streit liegt, sondern auf dem Erhalt der Verbindung. Wer die Beziehung höher bewertet als das Gefühl, recht behalten zu müssen, erleichtert sich selbst den Weg.
Ein weiterer Gedanke, der oft auftaucht: Versöhnung entsteht leichter, wenn man sich selbst nicht als Gegner des anderen sieht, sondern als Mitgestalter eines gemeinsamen Weges. Zwei Menschen, die nach einem Streit zur Versöhnung bereit sind, bauen nicht nur eine Brücke — sie reparieren auch das Fundament, auf dem ihre Beziehung steht.

Die Menschlichkeit am Ende

Bei einem Streit stehen sich zwei Menschen wie zwei Boxer im Ring gegenüber: stark, aufgepumpt und bereit für den nächsten Schlag. Bei der Versöhnung jedoch verwandelt sich dieser Ring in einen schmalen Steg über einem Fluss. Auf diesem Steg ist nicht Kraft, sondern Gleichgewicht gefragt. Jeder Schritt muss bedacht gesetzt werden. Wer zu schnell oder zu stur geht, verliert den Halt.
Wahre Größe zeigt sich nicht im ersten Impuls, sondern in dem Moment, in dem die Hitze abgeklungen ist. Wer den Mut findet, sich über den eigenen Stolz hinwegzusetzen, beweist nicht nur Klarheit, sondern auch Menschlichkeit. Und vielleicht ist es genau diese leise Stärke, die am Ende zählt.

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Luftige Formen

  • Verstehe ich vielleicht
  • Beschreibung:

    Melodiöser Klang des Missverständnisses.

  • Spagat
  • Beschreibung:

    Zerrissen zwischen dem, was man liebt und dem, was man benötigt.

  • Nektar
  • Beschreibung:

    Persönlich unbeschreiblich wenig.

  • Schwerer Groll
  • Beschreibung:

    Keine Möglichkeit, allein herauszukommen.

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